Jede/r kennt es: Geschlechterrollen. „Frauen gehören in die Küche, Männer dürfen nicht weinen und Diverse existieren gar nicht erst.“ Es gibt zu viele Stereotypen auf der Welt – doch wie beeinflussen uns diese?
Viele Menschen beurteilen Personen nicht nur nach ihrem Aussehen, sondern auch anhand von Merkmalen, die sie bereits kennen, z.B.: „Der hat Tattoos, der ist bestimmt ein Knastie“ oder „Die hat kurze Haare, die ist bestimmt ein Tomboy“. Jedoch beeinflussen solche Wahrnehmungsmuster unser Verstehen von Menschen und kreiert nur noch mehr Vorurteile.
Dafür gibt es hier aber die gegenderte Sprache. Anstatt „Lehrer“ wird „Lehrer*innen“ verwendet (Genderzeichen), um auch auf die Frauen in diesem Beruf hinzuweisen. Andere Beispiele sind „Student*innen“ oder „Doktor*innen“. Außerdem wird oft hinter der männlichen Form mit einem „und“ die weibliche beigefügt, wie beispielsweise bei „Schüler und Schülerinnen“ (Feminisierung). Ebenfalls kann das Wort mit einem neutralen Synonym ersetzt werden, wie „Lehrkraft“. Bei einigen muss das Originalwort aber komplett umschrieben werden, zum Beispiel würde aus „Politiker“ „Mensch in der Politik“ werden (Neutralisierung).
Meistens wird aber das sogenannte „generische Maskulinum“ verwendet, welches nur „Schüler“ sagen würde. Dies projeziert nur männliche Bilder in den Kopf. Jedoch stellt sich heraus: das generische Maskulinum ist gar nicht generisch!
Dieser Male Bias gilt nicht nur für Berufe, die stereotyp männlich besetzt sind, wie etwa Elektroniker oder Astronaut. Auch bei normalerweise weiblich besetzten Berufen wie Bibliothekar, Tierarzt oder Tänzer denken Personen in Tests öfter an Männer.
Das Fazit aus vielen Studien lautet deshalb: Das generische Maskulinum ist nicht generisch, es erzeugt vor allem männliche Bilder in den Gedanken. Und somit, so meint die Kritik, stelle es die Welt nicht so divers dar, wie sie heute sei. Seit den 1970er -Jahren gibt es deshalb Diskussionen darüber, wie die Sprache geschlechtergerechter werden solle.
Gendern hat einen deutlichen Einfluss, den wir nutzen sollten. Zwar gibt es momentan wenig Durchbrüche bei Genderzeichen, da dies die jüngste Art des gendern ist, aber es geschieht viel über Feminisierung und Neutralisierung.
Effekt 1: Frauen werden sichtbarer
Wird gegendert, werden Frauen gedanklich mehr beachtet – das zeigen verschiedenste Studien zum Thema. Es sollen dann, so die Vermutung, nicht nur Bilder von Männern im Kopf entstehen, sondern auch von Frauen. So dachten in einer Onlinestudie etwa 44 Prozent der Versuchspersonen, dass der Spezialist eine Frau sei, wenn der Text, den sie gelesen haben, in geschlechtergerechter Sprache geschrieben war. Bei Texten im generischen Maskulinum glaubte dies nur 33 Prozent der Befragten. Gendern könnte auf diese Weise also helfen, Geschlechterstereotype zu verringern.
Am stärksten werden Frauen gedanklich übrigens immer dann einbezogen, wenn beide Geschlechter genannt werden, wie eine Übersichtsarbeit zeigt.
Effekt 2: Gendern hat Auswirkungen auf die Berufswahl
Die Weise, wie wir schreiben und sprechen, kann vor allem im beruflichen Kontext sehr starke Effekte haben: Sind Stellenanzeigen nicht im generischen Maskulinum verfasst und enthalten weniger männliche Attribute wie “Führung”, “dominant” oder “wettbewerbsfähig”, dann würden sich mehr Frauen auf den Job bewerben, wie eine ältere Studie zeigt.
Männlich formulierte Stellenanzeigen dagegen führen sogar dazu, dass Frauen den Job bei gleicher Qualifizierung seltener bekommen. Werden beide Geschlechter genannt, ändert sich das. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, in der Versuchspersonen verschiedene Stellenanzeigen präsentiert wurden. Es wurde entweder
- “ein Geschäftsführer”,
- “ein Geschäftsführer (m/w)” oder
- “ein Geschäftsführer oder eine Geschäftsführerin” gesucht.
Die Teilnehmenden sollten sich dann fiktive Bewerbungen durchlesen und anhand von Lebensläufen & Co. schätzen, wie gut die Personen für den Job qualifiziert wären. Obwohl die Bewerberinnen von den Versuchspersonen als genauso kompetent wahrgenommen wurden, schätzten sie sie als weniger passend für den Job ein, wenn “Geschäftsführer” oder “Geschäftsführer (m/w)” in der Ausschreibung stand. Bei der Formulierung “Geschäftsführer oder Geschäftsführerin“ änderte sich dies jedoch. Geschlechtergerechte Sprache scheint hier also einen Unterschied zu machen.
Nur noch “Geschäftsführer” in einer Stellenanzeige zu schreiben, wäre heute übrigens auch nicht mehr legal, denn: Seit Ende 2018 dürfen Menschen in Deutschland auch den Eintrag „divers“ im Geburtenregister wählen. Paragraf 11 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) schreibt deshalb vor, dass Stellen geschlechtsneutral ausgeschrieben werden müssen – zum Beispiel würden sie durch den Zusatz „(m/w/d)“ ergänzt werden. Da zum Zeitpunkt der oben zitierten Studie diese Änderung noch nicht aktiv war, wurde diese Unterscheidung nicht mit eingebracht.
Effekt 3: Menschen denken offener über Geschlechterrollen
Es gibt auch Argumente aus der Wissenschaft, eben nicht einfach das Geschlecht zu betonen, sondern stattdessen in der Sprache neutraler zu werden. In Ländern, in denen in der Sprache nicht automatisch jedem Wort ein Geschlecht (bei uns also “der, die, das”) zugeordnet wird, …
- sind Frauen etwa häufiger erwerbstätig
- öfter in Unternehmen tätig
- gibt es mehr Frauen, die sich politisch aktiv beteiligen.
Okay, wie kommt man auf diesen Zusammenhang? Dafür wurden in mehreren Studien jeweils um die 100 Länder untersucht, in denen das biologische Geschlecht in der Sprache unterschiedlich sichtbar ist. Unterschieden wurde hier, ob ein Sprachsystem das Geschlecht stark bemerkbar (wie zum Beispiel im Deutschen), wenig bemerkbar (wie auch im Englischen) oder gar nicht bemerkbar (wie im Finnischen) macht – und damit von sich aus neutraler ist. Im Anschluss ergab sich die Frage: Welchen Einfluss hat das auf Faktoren wie die Erwerbsquote, den Bildungsstand von Frauen oder etwa die Einstellung zu traditionellen Geschlechterrollen?
Jetzt ist Sprache hier nicht der einzige Einflussfaktor – ein neutrales Sprachsystem sorgt nicht automatisch für mehr Gleichberechtigung in einem Land (auch das Türkische oder Ungarische sind diesbezüglich neutrale Sprachen, beide Länder liegen laut Global Gender Gap Report 2020 aber in der Platzierung weit hinten). Deshalb wurden andere Faktoren (zum Beispiel das Wahlsystem, Jahre seit Einführung des Frauenwahlrechts, kommunistische und koloniale Vergangenheit) herausgerechnet. Als Endergebniss zeigt sich: Solche Sprachen, die automatisch neutraler sind, könnten dafür sorgen, dass Menschen offener über Geschlechterrollen denken.
Die Wirkung von neutralen Formen zeigt auch ein konkretes Beispiel aus Schweden: Dort wurde 2015 das geschlechtsneutrale Pronomen “hen” eingeführt. Im Unterschied zum deutschen Pronomen “man” oder zum sächlichen Pronomen “es” bezieht sich hen auf „ein Individuum, ohne dabei sein Geschlecht zu bestimmen”. Menschen, die in Studien das Pronomen “hen” zur Beschreibung von Leuten nutzen wollten, seien in einer Folgebefragung positiver gegenüber Frauen in der Politik und der LGBT-Community eingestellt.
Es mag sein, dass es viele positive Effekte von Gendern geben kann. Aber trotzdem gibt es viele Einwände gegen das Gendern:
Einwand 1: Gendern löst Irritationen aus
Sprachwandel, das weiß man aus der Forschung, bewerten Menschen grundsätzlich eher schlecht. Schon hier in der Schule lernen wir durch Rechtschreiberegeln, was richtig und falsch ist. Alles, was von diesen gelernten Regeln abweicht, finden wir deshalb oft unästhetisch oder irritierend. Zuletzt hat etwa im Zuge der Rechtschreibreform 1996 die Änderung von ß zu ss große Wellen der Empörung ausgelöst. Inzwischen dreht sich die Debatte um geschlechtergerechte Sprache. Gerade der Genderstern ist es, welcher bei der Debatte um geschlechtergerechte Sprache derzeit die meiste Gegenwehr auslöst. Worte wie „Lehrer*innen“, so das Argument, sähen nicht nur irritierend aus – die gesprochene Pause zwischen „Lehrer-“ und „-innen“ wäre auch sehr unnatürlich. Dabei kennen wir solche Sprechpausen im Deutschen eigentlich schon: Glottisschlag oder glottaler Verschlusslaut heißt es in der Linguistik und ist zu finden in Wörtern wie “Spiegelei”, “überall” oder “vereisen”.
Einwand 2: Durch Gendern wird Geschlecht zu übertont
“Forscherinnen und Forscher haben es geschafft, den Atomkern von Helium fünfmal präziser zu messen als je zuvor”. In Sätzen wie diesen werden Frauen laut verschiedenen Studien bemerkbarer, dies haben wir schon festgestellt. Jedoch wird dadurch der Erfolg vom Geschlecht sehr überdeckt, meistens in Situationen, wo das Geschlecht keine Rolle spiele. Deswegen wird auch im Englischen fleißig ersetzt: aus „menkind“ wird „humankind“, oder aus „police men“ wird „police officer“.
Fazit: Bringt es jetzt etwas, die Sprache manuell umzustellen?
Mit Feminisierung, Neutralisierung und Genderzeichen lässt sich geschlechtergerechte Sprache sehr vielfältig realisieren. Ein klares Plädoyer, welche Form des Genderns die optimale ist, gebe es aus der Wissenschaft – Stand jetzt – noch nicht – sie führe sogar selbst einen Diskurs darüber. Vor allem die Frage, was ein Genderstern bringt und ob er wirklich “nötig” ist, müsse erst noch untersucht werden. Trotzdem gibt es schon Ideen, wie man Gendern unauffälliger unterbringen kann: Neutrale Formen können immer dann zum Einsatz kommen, wenn das Geschlecht eigentlich gar keine Rolle spiele, etwa bei Gesetzestexten oder bei Informationen von Ämtern. Gerade im Kontext von Jobs gibt es aber auch gute Gründe dafür, alle Geschlechter direkt anzusprechen – bei Stellenausschreibungen oder um Kindern Berufsbilder zu vermitteln.