“Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!”
Johann Wolfgang von Goethe
heißt es in dem Gedicht “Das Göttliche” (1783) von Johann Wolfgang von Goethe, dem wohl bedeutendsten Dichter und Denker der deutschen Literatur. Seiner Meinung nach, sei der Mensch also das Göttliche, gleiche mit seinen Sinnen und seiner Schaffenskunst den Göttern.
Goethe lebte damals zu Zeiten einer Hochphase des wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens: Der Aufklärung. In fast allen Bereichen der Gesellschaft, vom Bürgertum bis hin zum Adel, war das Denken populärer denn je geworden. Eine weitgesetzte Bildung sollte daher den Menschen zum Denken und zum Forschen erziehen. Die Bildung war ein hochgeschätzter Wert einer jeden Erziehung.
Heute, im Jahr 2022 – 239 Jahre nach Goethes Gedicht – hat sich diese Beziehung des Menschen zum Denken erheblich gewandelt. Der Mensch lernt nicht mehr zu wissen. Der Mensch lernt nur noch Wissen für seine eigene Bequemlichkeiten zu nutzen. Längst hat das Wissen nicht mehr einen hohen Eigenwert oder wird als eine Bereicherung des eigenen Wesens betrachtet. Stattdessen findet nur noch eine Aneignung des Wissens aus dem bloßen Zweck des eigenen Fortschritts statt. So erlebe ich es auch täglich im Schulalltag. Längst wird es nicht mehr als einen Eigenwert angesehen, die vielfältige Geschichte des deutschen Staates, die Frage nach dem Sein des Menschen oder auch die evolutionäre Abstammung des Menschen zu erlernen. Vielmehr beschäftigen sich die meisten Schüler/innen nur noch mit diesen wissenschaftlichen Fragestellungen aus Zwang, statt aus Freude zur Weisheit. Dabei galt die Wissenschaft als Erweiterung des eigenen Horizonts und als eine der höchsten Disziplinen, wenn nicht sogar als die höchste Disziplin, die der Mensch erlernen kann.
Zugegebenermaßen ist es auch nicht zielführend, den Menschen eine gewisse Tat aufzudrängen. Der Mensch ist auch nicht in der Lage, das gesamte Wissenschaftszweige dieser Welt lieben zu lernen. Dennoch ist die Situation faktisch folgende, dass der Mensch nicht mehr krtisch denken mag, nicht mehr forschen mag und auch nicht mehr hart arbeiten mag.
Die meisten Menschen bedienen sich nicht länger eines kritischen Denkens. Wer mit einem E-Scooter durch die Stadt fährt, überlegt sich nicht mehr, ob diese Art der Ressourcennutzung umweltfreundlich ist oder über die Art der Herstellung von Handys und sonstigen technologischen Geräten oder über die Art der Herstellung von Markenprodukten. Unser Konsum beruht letztendlich auf Faulheit und der Unsitte des Menschen, sich selbst als höchstes Wesen anzusehen. Kurzum: Das kritische Denken stirbt langsam aus. Der krönende Satz aufklärerischem Denkens von Immanuel Kant, habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, ist nicht mehr länger von Bedeutung.
Dies war wahrlich nicht immer die Regel: Im 18. Jahrhundert gab es einen wahrhaftigen Aufschwung der Wissenschaft, des Forschens und des Entdeckens. In allen Teilen der Wissenschaft, der Astronomie, der Mathematik, der Botanik, der Anthropologie – um nur einige zu nennen – gab es eine regelrechte Begeisterung für die Wissenschaft. Dieser wissenschaftliche Entdeckergeist mündete schließlich in zahlreiche große Entdeckungen, wie beispielsweise die Evolutionstheorie nach Charles Darwin. Der Mensch hat sich der Wissenschaft damals zugewandt und nicht die Wissenschaft den Menschen. Der Mensch sollte der Wissenschaft dienen und nicht die Wissenschaft dem Menschen.
Daher birgt das 21. Jahrhundert mitsamt seines technologischen Fortschritts die Gefahr, dass der Mensch seine Menschlichkeit verliert und damit seinen Liebe zur Wissenschaft. Heutzutage zeichnet sich nämlich ein Paradoxon ab, in welchem sich das unlogische Verhalten des Menschen preisgibt. Der Mensch will immer mehr eigene Ressourcen sparen und immer weniger aktiv sein, wobei er aber zum Erreichen dieses Ziels mehr Ressourcen verbraucht, als das Ziel eigentlich einsparen würde.
Diese These möchte ich gerne anhand eines Beispiels verdeutlichen: Das Handy zu nehmen, eine Nummer zu wählen und dann das Handy an sein Ohr zu halten, wenn man mit dieser Person telefonieren möchte, selbst das verlangt dem modernen Menschen scheinbar zu viel Bewegung ab. Stattdessen werden so genannte Airpods immer beliebter, welche es ermöglichen, das Handy nicht einmal mehr ans Ohr halten zu müssen. Scheinbar wäre das viel zu anstrengend für die meisten Menschen – zumindest empfinden das viele Menschen so. Zu beachten ist jedoch, dass anderweitig mehr Ressourcen und Energie verbraucht werden, um allein diese Technologie herzustellen. Dieses Paradoxon weniger eigene Ressourchen zu verbrauchen und dabei mehr natürliche, globale Ressourchen zu verschwenden, ist allein der menschlichen Gemütslage zuzuschreiben.
Ein weiterer Aspekt der menschlichen Faulheit ist der Nichtbestand einer kulturellen Bildung der Jugend. Literatur und künstlerische Beschäftigung in Form von Musik und Kunst galten zu Zeiten der Aufklärung als edle Aktivitäten, welche das wahre Wesen des Menschen zum Vorschein bringen. Nämlich das Gute und Schöne an dem Menschen. Philosophieren galt als die wahre Aufgabe des Menschen, als der wahre Unterschied zwischen dem instinktgeleitetem Tier und dem Mängelwesen Mensch. Durch das Leben in Gruppen, habe der Mensch mehr Zeit zum Denken, der eigentlichen Aufgabe des Menschen – so Platon. Heutzutage wird von der Jugend der hohe Stellenwert der Kultur sowie literarischer und künstlerischer Auseinandersetzung kaum noch bedacht und diese Aspekte geraten zunehmend in Vergessenheit. Der Erschaffer der Kultur, der Mensch, vergisst die Kultur also wieder. Der Mensch ist in der Tat ein Mängelwesen, denn heutzutage mangelt es vielen Jugendlichen an ein Verständnis von Wissenschaft, Kunst und Literatur, wohingegen viele Aufklärer im 18. Jarhundert danach gestrebt haben, wofür zahlreiche Wissenschaftler wie Galileo Gallilei im Mittelalter noch verurteilt worden waren. Welch eine Schande geht über den Menschen im 21. Jahrhundert: Die Liebe zur Faulheit siegt über die Liebe zur Aufklärung und der Benutzung der reinen Vernunft!
Abschließend sei angemerkt, dass nicht allein das bloße wissenschaftliche Forschen als Bestandteil der Aufklärung im 18. Jahrhundert galt, sondern auch das Reisen und Entdecken wurde für Forscher aller Art erschwinglich. Reisen in ferne Länder, unbekannte Gebiete, welche man im Auftrag der Regierung kartografierte, waren das Wesen der Wissenschaft; sich nicht nur im Elfenbeimturm mit der Modellierung der Wissenschaft auseinanderzusetzen, sondern diese auch hautnah in der Praxis erleben und daran forschen. Nun, Seefahrer und Forscher, wie James Cook oder Charles Darwin, würden heute wohl der Menschheit nachweinen, wenn sie sehen würden, welche Faulheit über den Menschen einhergeht. So ist die Jugend von heute kaum noch unterwegs, erforscht nicht die Welt außerhalb der eigenen vier Wände. Stattdessen bleibt man in einem digitalen Gefängnis gefangen, ohne jeglichen Drang zur Entdeckung und Erforschung der Außenwelt.
Für den Menschen existieren verschiedene Bezeichnungen: homo oeconomicus – der wirtschaftliche Mensch, homo faber – der schaffende Mensch.
Den heutigen Menschen würde ich treffender als homo piger klassifizieren – der faule Mensch.