Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe. Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben einsetzt für seine Freunde. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete. Ich nenne euch hinfort nicht Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich Freunde genannt: denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.

Gebot der Liebe, Johannesevangelium Kap. 15, V. 13ff.

Jesus zeigt hier einen Weg der Nächstenliebe auf. Freundschaften sind neben der Familie die wichtigste Instanz, die am nächsten liegende Anlaufstelle eines Menschen, um Trost und Geborgenheit zu erfahren. Der aufrichtige Einsatz für seine Freunde und Gefährten ist daher umso wichtiger. Dieses „Gebot der Liebe“ betont den Zusammenhalt unter uns Menschen und den respektvollen Umgang, mit dem wir uns begegnen sollten. 

Doch was ist die viel beschworene „Nächstenliebe“ überhaupt? Gängige Definitionen lauten wie folgt: Nächstenliebe ist die aus der Liebe Gottes genährte und an der Selbstliebe orientierte Zuwendung zum Mitmenschen. Es ist die jedem Christen aufgegebene, unvoreingenommene Zugewandtheit zum bedürftigen Mitmenschen in seinem unmittelbaren Umfeld. Das Gebot der Nächstenliebe nimmt eine zentrale Stellung innerhalb der christlichen Ethik ein. Alle sollen friedlich miteinander leben und die Nächstenliebe in sich und auch nach außen tragen.

Wenn man sich aber in die heutige Zeit versetzt, mag man nicht so viel Zusammenhalt und Frieden auf den Straßen und im Alltag wiederfinden. Erinnern wir uns beispielsweise nur an die letzte Silvesternacht, in der Rettungskräfte, Feuerwehrleute und Polizisten u.a. angegriffen, in Hinterhalte gelockt und mit Böllern beworfen wurden. Sogar Geräte wurden von Feuerwehrfahrzeugen gestohlen und die Fahrzeuge dabei teils so beschädigt, dass sie nicht mehr einsetzbar waren. Zudem herrscht seit Februar 2022 wieder ein Krieg in Europa. Zeichen der Nächstenliebe sind in diesen Tagen folglich schwer zu erkennen. 

Paulus‘ Auffassung der Nächstenliebe formuliert er am Ende seines Römerbriefes, indem er den Gedanken der Nächstenliebe als Summe aller Gebote interpretiert: „Bleibt niemandem etwas schuldig, sondern liebt einander. Denn wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt. Die Gebote: Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren! Und was es sonst noch an Geboten gibt, werden ja in diesem einen Wort zusammengefasst: Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst. Die Liebe fügt dem Nächsten nichts Böses zu. So ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes“ (Röm 13,8-10). 

Doch warum folgen wir diesem Gebot nicht immer? Die Nächstenliebe baut auf der Selbstliebe auf, es heißt in der Bibel nicht umsonst: Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst. Wer sich selbst nicht liebt und mit sich nicht im Reinen ist, kann prinzipiell nicht für andere offen sein und kreist nur um sich selbst. Man könnte dazu Martin Luthers Auffassung zum „homo incurvatus in se“, also dem in sich verkrümmten Menschen, heranziehen. Das Bild des verkrümmten Menschen ist zugleich ein typisches Bild der Sünde: Gemäß dieser Definition ist die Sünde die Entfremdung und die Abkehr erstens von einem selbst, zweitens von Anderen und drittens auch von Gott. Es ist ein schmerzlicher Zustand, der einsam macht; eine innere Zerrissenheit, in welcher der Mensch verharrt. Demnach ist ein Mensch, der sündigt, so in sich selbst verkrümmt, derart in seiner Ich-Bezogenheit verhaftet, dass er sich noch nicht einmal vernünftig um sich selbst kümmern kann. Wer Sünde so versteht, der kann eigentlich nicht hart und unbarmherzig sein. Denn er weiß, dass wir alle unserer kleineren und größeren Verkrümmungen haben. Darum versucht jemand, der barmherzig mit den Sünden eines Menschen umgehen möchte, zu verstehen, wie es zu dessen inneren Selbstverkrümmungen gekommen ist und nach Wegen zu suchen, wie er sich aus seinen Verkrümmungen lösen kann, damit er in die Haltung kommt, in der Gott ihn gewollt hat: aufrecht!

Des Weiteren lässt sich diesem Gebot entnehmen, dass wir alle dieselbe unveräußerliche Würde haben. Wir können uns auf die Liebe, den Schutz und die Barmherzigkeit Gottes gleichermaßen verlassen. In dem heutigen schmalen Grat zwischen Egoismus und Nächstenliebe ist es deshalb umso wichtiger, auf Zusammenhalt und Frieden zu setzen. 

Daher wünsche ich allen ein frohes Osterfest!