Es wird am Dienstag, dem 3. November 2020, in den USA gewählt, die Fronten und die Positionen sind klar verteilt: Joe Biden mit Ruhe, Besonnenheit und Vernunft oder Trump mit Aggressivität und einer unkonventionellen Politik. Eine Wahl zwischen Establishment und Außenseiter, zwischen liberal und konservativ. Nie zuvor waren die Fronten so klar verteilt wie jetzt. Die Mitte? Da ist nicht mehr viel, außer einem tiefen Riss, der durch das gesamte Land eine Kluft zwischen blaue und rote Staaten zieht. Die letzten vier Jahre seit dem letzten Wahlkampf waren und sind wie ein ununterbrochenes Erdbeben mit der höchsten Stärke. Epizentrum in Washington D.C..
Schon jetzt zeigen sich üble Vorboten: Fast jeder rechnet mit Saurem statt Süßem am 3. November. Die Läden verbarrikadieren sich jetzt bereits vor möglichen Ausschreitungen und Plünderungen, die Verkaufszahlen an Waffen in den USA schießen in die Höhe, rechte Milizen, u.a. die sogenannten „Proud Boys“, die Trump explizit dazu aufgefordert hat, sich bereit zu halten, sind in Lauerstellung und warten auf den 3. November bzw. das Wahlergebnis. Erst kürzlich wurde die Entführung der demokratischen Gouverneurin von Michigan – Gretchen Whitmer – vereitelt. Auch die „Black-Lives-Matter“-Bewegung könnte wie ein Hurrikan auf die amerikanischen Großstädte treffen und das Auge des Sturms ist das Weiße Haus, der Ort, an den der US-Präsident weiter Öl ins Feuer gießt und die Spaltung Amerikas weiter antreibt. Man könnte auch sagen, Trump macht aus den „The United States of America“ die „The Divided States of America“. Dieses Chaos braucht er dringend für eine mögliche Wiederwahl, eine angeheizte, feindliche Atmosphäre, die für manche schon eine Vorahnung für einen bevorstehenden Bürgerkrieg ist – zurecht!
Da scheint Halloween die Ruhe vor dem Sturm zu sein, vor dem wahren Gruseldrama: Doch welche Szenarien ergeben sich unter welchem Ergebnis? Ist der bevorstehende Hurrikan noch irgendwie abzuwenden oder wird das Pulverfass und das Säbelrasseln in Gewalt münden? Droht den USA also ein realer Bürgerkrieg?
Als erstes: Es gibt mehrere Szenarien, die aber jeweils alle einen „Haken“ aufweisen.
Das scheinbar harmloseste aller Szenarien wäre sicherlich ein klarer Sieg Joe Bidens, mit klarer Mehrheit im US-Repräsentantenhaus und im US-Senat und eine Wahlniederlage für Trump und die gesamte Republikansiche Partei, welche in vielen Staaten an Rückhalt verliert. Das Votum gegen Trump und für Normalität und Ruhe wäre so überwältigend, dass er sich eigentlich nicht mehr glaubhaft wehren kann, sondern das Wahlergebnis akzeptieren muss, ob er will oder nicht. Er würde jedoch wahrscheinlich das Ergebnis weiterhin doch noch irgendwie in Frage stellen oder zumindest kritisieren, dass seine Verdienste um das amerikanische Volk nicht anerkannt werden und dass die USA mit Biden zu einer sozialistischen USA geformt würden. Auch die rechten und neonazistischen Milizen würden sich gegen die Unterstützer der Demokraten, u.a. die „Black-Lives-Matter“-Demonstranten gewaltsam wehren und versuchen, die Gewalt weiter anzufachen, um Trump als ihren US-Präsidenten zu verteidigen und zu bewahren. Auch die mächtige Gruppe der Evangelikalen würde es nicht einfach auf die leichte Schulter hinnehmen, dass ihr Präsident, der von „Gott geschickt“ sei, einfach durch ein, wie Trump es formulierte, „trojanisches Pferd des Sozialismus“ ersetzt würde. Sie würden auch gegen das Wahlergebnis ankämpfen, jedoch als Minderheit. Die Mehrheit würde sich dagegen wehren, auch die Republikanische Partei würde sich auf ihr Demokratieverständnis besinnen und das Ergebnis als guter Verlierer akzeptieren. Die „Black-Lives-Matter“-Bewegung würde sich auch beruhigen, da Biden große Reformen in der gesellschaftlichen Struktur ankündigte, welche mit einer Mehrheit in beiden Kammern nahezu greifbar sein dürfte. Schließlich wäre dann der 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika am 20. Januar 2021 Joe Biden. Ob Trump bei der Amtseinführung dabei ist? Fraglich. Das gefährlichste hierbei wäre jedoch, wenn jemand als Märtyrer für Trump sein Leben opfern will und ein Attentat auf Joe Biden oder Kamala Harris begeht. In diesem Falle wäre das ein Startsignal für Demonstranten auf beiden Seiten, sich zu wehren, wahrscheinlich auch mit Toten und Verletzten und mit dem Eingreifen von Polizei und Militär.
Das zweite Szenario verteilt eher Saures statt Süßem, nämlich in Form eines knappen Wahlsieges von Biden oder Trump.
Würde Biden knapp gewinnen, so hätte Trump die Chance, sich doch noch als Präsident zu behaupten. Er würde in diesem Fall auf wohl sehr wahrscheinlich seine Niederlage bestreiten und von Wahlbetrug sprechen. Er würde sich wie ein gefesseltes Krokodil wehren und nach jedem schnappen, der sich gegen ihn stellen würde. Seine Anwälte würden das Ergebnis anfechten und es gäbe einen monatelangen Kampf um die Macht, welcher letzten Endes (oder besser gesagt im besten Falle) zu einer Entscheidung am Supreme Court führen könnte. Und dort konnte Trump gerade erst vor kurzem, am 27. Oktober 2020, die Mehrheit der konservativen Richter mit 6:3 ausbauen; zwei Drittel der Richter stimmten daher möglicherweise eher in seinem Sinne. Selbst bei einem Abweichler würde das Ergebnis noch lauten: „Trump will stay the current President of the United States of America!“. Biden würde dies einfach so hinnehmen müssen, da er seine Verantwortung als Vorbildfunktion der Demokraten wahrnimmt und sich auch anständig verhalten würde, um genau die drohende Gewalt von den USA abzuwenden. Er würde wohl nicht Selbstjustiz üben und selbst zu Mitteln à la Trump greifen.
Auf den Straßen der Städte Amerikas würden dennoch Tumulte herrschen. Rechte Milizen und Konservative mit Schusswaffen würden randalieren und sich regelrecht Afroamerikaner, Latinos und Demokraten „vorknöpfen“. Die linken Demonstranten der „Black-Lives-Matter“-Bewegung würden erbitterten Widerstand leisten, ebenfalls in den Nächten randalieren und sich ebenfalls mit Schusswaffen gegen die rechten Milizen wehren. Die Polizei, sogar die Armee und die Nationalgarde müssten eingreifen und Schusswaffen gegen eigene Bürger einsetzen. Sollte erneut ein Afroamerikaner – und sei es auch unter polizeilich nachvollziehbaren und juristisch einwandfreien Umständen – zu Tode kommen, so würde man ebenfalls mit Gewalt auf Polizisten reagieren und einer bürgerkriegsänhlichen Wut. Dass sich am Ende die Polizei oder die Armee spalten ließe, ist eher unwahrscheinlich, da für viele der Eid auf ihr Land oberste Priorität hat. Denkbar ist allenfalls, dass die Armee selbst überfordert wäre und es bürgerkriegsähnliche Zustände gäbe. Wahrscheinlich käme auch unter diesen Umständen für einige radikale Menschen ein Attentat auf Biden oder Trump oder andere Politiker infrage, was den Spalt in der Gesellschaft weiter wie eine Axt vorantreibt und Lösungen und Kompromisse endgültig unmöglich machen würde. So schnell dürfte dann die Spaltung und v.a. die Gewalt nicht enden, Trump würde sie sogar weiter anheizen, um seine Macht auszubauen, indem er nur die Gewalt seiner Gegner thematisieren würde.
Sollte die Entscheidung dennoch zu Gunsten von Biden fallen, weil der Supreme Court Trump nicht zustimmt oder es zwei Abweichler gibt und die Entscheidung knapp 5:4 für Biden ausfiele, so würde Trump versuchen, sich selbst zum Präsidenten zu küren, was jedoch scheitern würde, da die Exekutive (die Polizei, das Militär) an die Verfassung gebunden ist und sich somit in diesem Falle auf Bidens Seite stellen müsste. Die Gewalt auf den Straßen bliebe dennoch bestehen, v.a. auf Seite der rechten Milizen und Evangelikalen.
Gäbe es einen knappen Sieg nach Wahlmännern für Trump, obgleich eine Mehrheit der Bevölkerung gegen ihn gestimmt hat, wäre die Situation ähnlich wie vor vier Jahren, womöglich nur noch ein „bisschen“ gewaltsamer . Von Seiten derjenigen, die für Biden gestimmt haben, gäbe es auch wiederum Proteste, auch gewaltsame, nächtliche Ausschreitungen und Plünderungen. In diesem Falle wären jedoch die linken Demonstranten die großen Verlierer, weil sie ein Ergebnis nicht akzeptieren und sich somit direkt in die Schusslinie des Präsidenten stellen würden, der sie dann „wie die Hasen“ abschießen und dann als radikale, sozialistische Randalierer betiteln könnte – wahrscheinlich mit Erfolg. Die Polizei und die Nationalgarde müssten wie vor ein paar Monaten, nach dem Tod von George Floyd, eingreifen und die nächtlichen Ausschreitungen gewaltsam beenden. Ohnehin würde Trump die Demonstrationen gewaltsam mit Hilfe der Polizei und des Militärs unterbrechen, bis „Law and Order“ wiederhergestellt sind. Die rechten Milizen dagegen würden sich zurückhalten, da sie keinen Grund mehr haben, in das Geschehen einzugreifen. Ihr Präsident wäre bestätigt, die Demonstranten würden ohnehin schon mit der Polizei konfrontiert werden und die Evangelikalen würden sich bestätigt fühlen, dass ihr „gottgewollter“ Präsident weiter die Gunst Gottes auf seiner Seite hat. Biden und Harris würden, um nicht noch weiteres Öl ins ohnehin schon außer Kontrolle geratene Feuer zu gießen, ihre Niederlage akzeptieren.
Langfristig würde Trump die „Seele der Nation“ ordentlich umrkempeln, sowohl national als auch international, wobei es auch hier darauf ankommt, ob die Republikaner im US-Repräsentantenhaus und dem Senat die Mehrheit haben, was selbst bei einem Trump-Sieg unwahrscheinlich ist. Somit würden die Demokraten als Reaktion des Widerstandes noch radikaler seine Vorhaben in diesen zwei Kammern blockieren und wären selbst nicht mehr dazu bereit, überhaupt noch mit ihm vernünftig reden zu wollen, was sich auch schon 2019 und 2020 gezeigt hat, als die Demokraten eine Mehrheit im US-Repräsentantenhaus bekamen. Doch dies würde nur Trump in die Hände spielen, der die Stimmung gegen die Demokraten weiter wie mit einem Bunsenbrenner anfeuern würde und zu einer inoffiziellen Spaltung Amerikas in rote (republikanische) und blaue (demokratische) Staaten führen würde. Auch wird sich in spätestens vier Jahren, am Ende von Trumps letzter Amtszeit, die Lage im Hinblick auf die Corona-Pandemie selbst in den USA erholen, es gäbe im Anschluss ein ordentliches Wirtschaftswachstum, welches Trump sofort für sich deklarieren würde. In diesem Falle würden die Republikaner Trump als einen der größten US-Präsidenten verehren, der die Gesundheits- und Wirtschaftskrise überstanden, die USA vor einer sozialistischen Übernahme bewahrt und auf den Straßen gewaltsam wieder „Law and Order“ zur Durchsetzung verholfen habe. International wäre die USA jedoch abgeschotteter denn je. Das negative Bild der USA würde sich weiter manifestieren als es ohnehin schon ist, da viele außerhalb Amerikas denken würden, dass das, was Trump propagiert, die Meinung des US-amerikanischen Volkes sei, da sie ihn ja als US-Präsidenten bestätigt haben. 2016 wäre somit kein einmaliger „Ausrutscher“, sondern nur der Anfang einer neuen Ära der US-amerikanischen Geschichte gewesen. Der gesamte Ruf eines liberalen Amerikas, welche den Alliierten in Europa oft helfend zur Seite stand, wäre hinüber, stattdessen würden wir die USA dauerhaft abwertend empfinden und regelrecht für eine längere Zeitspanne abschreiben.
Die USA gälten somit „The Divided States of Donald J. Trump“.
Also: Für die USA beginnt nicht jetzt Halloween, sondern erst am 3. November und das für Monate.
Die Aussicht: Wenig Süßes, viel Saures und viel Grusel, Horror und Spannung …