Der Tragödie zweiter Teil: Die Notwendigkeit von Reformen
Aus „Lieb Vaterland“ von Udo Jürgens, 1971Lieb Vaterland, wofür soll ich dir danken?
Für Versicherungspaläste oder Banken?
Atomkraftwerke für die teure Wehr
Wo Schulen fehlen, Lehrer und noch mehr
Deutschlands Bevölkerung wird immer älter. Dieser demographische Wandel birgt viele Nachteile in sich und fordert somit auch zu einer Reformierung des Landes heraus.
Das Renteneintrittsalter liegt aktuell noch bei 67 Jahren. Es ist jedoch in den vergangenen Jahren aufgrund der immer älter werdenden Bevölkerung und der sinkenden Beitragszahlungen in die Rentenkassen immer weiter erhöht worden. Dabei erreicht jeder Fünfte Deutsche das Renteneintrittsalter nicht einmal.
Das Rentenalter noch weiter auf 69, 70 oder 75 zu erhöhen, ist falsch und unfair, denn das würde eine reale Rentenkürzung für viele Menschen bedeuten, die einfach nicht so lange arbeiten können.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), 2022
Eine Erhöhung des Rentenalters erscheint politisch – trotz des Gegenargumentes, dass die Lebenserwartung mit jeder Generation steige – physisch und psychisch nicht durchsetzbar. Solche Maßnahmen sind meines Erachtens – trotz des Fachkräftemangels – zudem nicht wirksam, da die Arbeitsbereitschaft sowie Arbeitsfähigkeit mit höherem Alter sinkt. Damit ist es schlicht ineffizient, das Rentenalter zu erhöhen, auch wenn es finanziell aufgrund der Überalterung und des Scheitern des Generationenvertrages nötig sein wird.
Über kurz oder lang dürften Rentenkürzungen bei der gesetzlichen Rentenversicherung in den nächsten Jahrzehnten die Folge sein. Die Deutsche Rentenversicherung gibt den Betrag eines Durchschnittsrentners 2020 mit monatlich 1.172 Euro brutto (ohne Abzüge der Sozialversicherungen) an. Zum Leben ist dies meist nicht genug, weshalb das Problem der Altersarmut immer weiter in den Fokus rückt.
Der Bundesrechnungshof hat 2018 den Ehrensold des Bundespräsidenten, der seit 1959 auf die Höhe von 236.000 Euro pro Jahr festgesetzt ist, um den Altpräsidenten weiterhin einen gewissen Lebensstandard gewährleisten zu können, kritisiert. Die Altersversorgung erscheine angesichts der sozialen Spaltung realitätsfern und – nach Ansicht des Rechnungshofes – auch nicht mehr zeitgemäß. Zu dem Ehrensold kommen schließlich noch Bezüge vorheriger Ämter und der Nebentätigkeiten, beispielsweise als Vorstandsvorsitzender. Zum Vergleich: Beschäftigte, die 40 Jahre in die Gesetzliche eingezahlt haben, konnten 2020 laut Angaben der Deutschen Rentenversicherung mit einer Netto-Rente in Höhe von 1.371 Euro rechnen. Ein Bundestagsabgeordneter bekommt pro Jahr im Bundestag etwa 250 Euro Rente (2,5 Prozent der Abgeordnetenentschädigung pro Jahr), womit er die Höhe eines Durchschnittsrentners nach fünf Jahren eingeholt hat. Diese entscheiden dann darüber, wie viel Diäten sie selber erhalten und wie lange ein Beschäftigter in Deutschland noch arbeiten kann, ohne zu wissen, wie belastend es ist, beispielsweise in der Pflege oder im Handwerk zu arbeiten. Wo ist der Realitätsbezug?
Es bedarf einer Rentenreform für dieses gesamtgesellschaftliches Problem: Eine mögliche Lösung wäre die Abschaffung der vielen verschiedenen Rentenkassen (Juristen, Ärzte und Beamte haben eigene) sowie eine grundlegende Erneuerung der gesetzlichen Rentenversicherung, in die auch Beamte für ihre Pension einzahlen sollten.
Welche Vorschläge werden noch geäußert? Es bedürfe laut Experten einer Reform des Arbeitsmarktes: Das Arbeitsangebot sende fehlende Anreize und mangelnde Unterstützung. Die gute soziale Versorgung, die zweifellos zu der Besten weltweit zähle, jedoch manchmal scherzhaft mit der Metapher der „sozialen Hängematte“ verglichen werde, solle mehr „Stütze als Stress“ sein. Verleitet das Sozialsystem zur Arbeitsverweigerung oder zu einer gewissen Sicherheit, in der man abgesichert ist, planen kann und gerne arbeitet?
Ein Reformansatz des Arbeitsmarktes wäre zum Beispiel, junge Menschen verstärkt staatlich zu unterstützen, um mögliche qualifizierte Arbeitskräfte zu gewinnen sowie die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu steigern und ausländische Fachkräfte anzuwerben, um dem Mangel an Fachkräften entgegen zu wirken.
Es ist daher kein Wunder, dass nach einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung von 2017 das gesellschaftliche Vertrauen in die Politik und der Demokratie in der Bevölkerung sinkt. Zehn Prozent der Befragten lehnen die Demokratie gar gänzlich ab. Die Radikalisierung innerhalb der Gesellschaft wird immer mehr zu einem Problem. Populistische Hetzreden und rechte Parteien, die den Wählern versprechen, die Lösung zu sein, sind keine Alternative oder eine vermeintliche Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage, sondern sie sind der Inbegriff politischen Versagens.
Drohen uns die Folgen der Römischen Dekadenz?
Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.
Guido Westerwelle (FDP)
Was der FDP-Politiker Guido Westerwelle damit wohl überspitzt darstellen wollte, ist der oben erwähnte geringe Anreiz angesichts der guten finanziellen Versorgung durch Arbeitslosengeld und sonstigen Transferleistungen unseres Sozialstaates eine Arbeit auszuüben. Zudem bezieht sich Westerwelle hier auf den römischen (moralischen) Zerfall: Nach dem bekannten Geschichtsschreiber Sallust hatte der – im Großen und Ganzen betrachtete – außen- und innenpolitische Erfolg der Römer zum Sittenverfall und zur Abkehr von den Göttern sowie der Tugendhaftigkeit geführt, was schließlich zum Zerfall der Moral und letztlich auch des Staates geführt habe.
Haben auch wir uns an den Erfolg zu sehr gewöhnt? Steigt er uns und die friedliche Eintracht zu Kopf? Ist dies der Grund für eine wachsende egoistische und selbstsüchtige Haltung? In vergangenen Krisenzeiten jedenfalls erlebt man für eine kurze Zeit ein Gefühl des Zusammenhalts und der Dankbarkeit. So applaudierte man doch noch vor knapp vier Jahren auf den Balkonen für die systemrelevanten Berufe. So erfasste doch noch vor drei Jahren während der Flut im Ahrtal eine Welle der Hilfsbereitschaft das Land. Wo ist jetzt der Applaus? Wo bleibt jetzt die offene Dankbarkeit?
Jedoch relativiert Guido Westerwelle hier auch offensichtlich die Gründe für den Zusammenbruch eines Weltreiches: So ist das Imperium Romanum unter vielen zusammen auftretenden Faktoren zerfallen – wie zum Beispiel durch Einfälle der Barbaren im Norden und Westen des Reiches, Probleme im Inneren des Landes, wie etwa der Finanzkrise durch kostspielige Kriege, politische Instabilitäten in den Zeiten der „Soldatenkaiser“ und die hohen Ausgaben der Reichskasse. Es ist also eben nicht am „anstrengungslosen Wohlstand“ zerbrochen. Von welchem anstrengungslosen Wohlstand soll auch im antiken Rom die Rede gewesen sein? Die Kluft zwischen Arm und Reich war riesig. Nur ein kleiner Kreis Privilegierter schwelgte im Luxus.
Parallelen könnten hier geschlussfolgert werden, wenn man die zunehmenden, gesellschaftlichen Disparitäten in Deutschland betrachtet. Faktoren wie der Ukraine-Krieg, die Inflation und Zweifel am Wirtschaftsstandort Deutschland tragen zum gesellschaftlichen Missmut bei und beschleunigen diesen Prozess. Jedoch befinden wir uns (noch?) nicht in einer schweren Finanzkrise, die in einer Staatskrise mündet, wie es beim Römischen Reich der Fall war.
Daher muss sich Guido Westerwelle eindeutig eine Übertreibung sowie eine falsche Auslegung der historischen Tatsachen vorwerfen lassen. Der inzwischen verstorbene FDP-Politiker stellt die Gründe für den Zusammenbruch eines Weltreiches minderkomplex dar und verkennt die wahre Dimension von einem Staatszerfall. Die Inflation, der Fachkräftemängel und die Haushaltskrise belasten den deutschen Staat zwar sehr, aber mit der „spätrömischen Dekadenz“ ist dies nicht zu vergleichen.
Der „anstrengungslose Wohlstand“ ist wohl eher eine Metapher wie die der „sozialen Hängematte“. Liegen die Schwächen des Sozialstaats in seiner naiven Ausnutzbarkeit?
Am Ende bleibt die Hoffnung…
Wenn Deutschland keinen Wandel und Veränderungen erlebt, so sehe ich eher eine düstere Zukunft auf uns zukommen, vor allem in Hinblick auf Wohlstand und Wirtschaft. Es darf nicht mehr ‚nichts passieren‘ – so wie es in den vergangen Jahren der Fall war. Man muss sich nun einmal den Gegebenheiten und Notwendigkeiten der Zeit anpassen.
Achtung!
Mir ist bewusst, dass nicht jeder Mensch so ist, wie ich das Bild zeichne. Daher warne ich vor möglichen missverständlichen Verallgemeinerungen.
Quellengrundlage
https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Demografischer-Wandel/_inhalt.html
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/02/PD24_067_813.html
https://www.bundestag.de/abgeordnete/mdb_diaeten/1335-260796
https://www.deutschlandfunk.de/altersversorgung-rechnungshof-ruegt-alt-bundespraesidenten-100.html
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/bip-deutschland-q4-100.html