Es ist Endspurt in den letzten Tagen vor dem 3. November. In diesen letzten Tagen sputen sich nochmals beide Kontrahenten und halten zahlreiche Reden, Interviews und Wahlkampfauftritte ab; insbesondere Trump macht das im großen Stil, um seine Wähler zu mobilisieren. Zwar liegt er immer noch in den bundesweiten Umfragen hinter Biden, gerade wegen seiner miserablen Corona-Politik. Jedoch sind die landesweiten Umfragen nicht gerade aussagekräftig, da die Wahl von einigen wenigen sogenannten „Swing States“ abhängt, in denen gerade der Kampf seinen Höhepunkt erreicht. Hier sieht es besser aus für Trump, v.a. nach seinem sachlichen und relativ höflichen Auftritt in der zweiten und letzten Debatte. Der Erfolg bei der Ernennung der konservativen Richterin am Supreme Court, Amy Coney Barrett, dürfte sicherlich die konservativen Trump-Anhänger und die Evangelikalen ermutigt haben, ihre Stimme für ihn abzugeben. Dies betrifft wohl auch noch Unentschlossene, auch wenn sich schon die meisten längst auf eine Seite gestellt haben. In den Umfragen innerhalb der Swing States hingegen holt Trump in Florida und Ohio leicht auf: So liefern Trump und Biden sich in Florida mit 48 Prozent ein sehr knappes Rennen, in einem überaus wichtigen Staat. Denn Florida hat 29 sogenannter Wahlmänner, deren Stimmen geschlossen für den Gewinner im Bundesstaat gehen müssen. Daher rührt die Bedeutung des Bundesstaates. Sollte Trump diesen Bundesstaat gewinnen, so dürfte er sich dennoch nicht als Sieger küren lassen, da er dann auch noch in den anderen Swing States gewinnen müsste, in denen die Demokraten mit klarem Vorsprung vor den Republikanern liegen. Für Biden hingegen wäre ein Sieg in Florida ein klarer Vorteil gegenüber Trump; er käme deutlich den 270 Wahlmännern näher. In diesem Falle würde sich der positive Trend für ihn bestätigen.
Auch zahlreiche Prominente aus Hollywood machten sich für ihn stark und riefen zur Abwahl Trumps ab. Als größter Joker dürfte sicherlich Obama gelten, der sich in den letzten Tagen gegen seinen Nachfolger aussprach und versuchte, die Demokraten zur Wahl zu mobilisieren. Denn das war das größte Manko der Demokraten bei der letzten Wahl. Sie schafften es einfach nicht, ihre Parteilinken zu mobilisieren, zumal ihr Kandidat, Bernie Sanders, nur knapp gegen Hillary Clinton unterlag, welche als Establishment angesehen wurde. Dieses Mal unterlag er wieder jemanden aus dem politischen Establishment und dieses Mal einem, der geradezu seit 47 Jahren das Establishment verkörpert. Daher versucht nun Biden mit allen Mitteln, die Parteilinken „an der Stange zu halten“, so dass sie auch in großen Zahlen für ihn stimmen sollen. Auch Minderheiten, wie Afroamerikaner oder Latinos versucht er auf seiner Seite zu ziehen, was sich u.a. an seiner „Running Mate“ Kamala Harris, einer afroamerikanischen Senatorin, verdeutlicht. Nach vier Jahren, in denen Trump die Demokraten beschimpfte, als Sozialisten bezeichnete, mexikanische Kinder von ihren Eltern trennte und afrikanische Länder als „Dreckslöcher“ bezeichnete, ist es wohl nicht gerade verwunderlich, dass diese Teile der Bevölkerung und der Demokraten ihn schnellstmöglich loswerden wollen und die letzten vier Jahre als totale Blamage für die einst so stolze Supermacht sehen. Daher könnte auch die hohe Wahlbeteiligung – es gibt also kaum noch Unentschlossene – für eine klare Entscheidung der Wähler, für eine Mobilisierung der Demokratischen Partei und einen Sieg für Biden sprechen. Also: „You are fired, Mr. Trump?“
Was bleibt da noch übrig für ihn? Schließlich sah seine Bilanz gemessen an seinen überaus hoch angesetzten Wahlversprechen schon glänzend aus, wenn auch auf Kosten anderer Menschen, Länder und des Klimas. So lässt er immer wieder verlauten:
Er schaffte „Obama Care“ fast ab bzw. änderte das System zu seinen Gunsten um.
Er brachte im Dezember 2017 seine Steuerreform als großes „Weihnachtsgeschenk“ durch.
Er stieg aus zahlreichen Abkommen aus, wie z.B. aus dem Pariser-Klimaabkommen oder dem Atom-Abkommen mit dem Iran.
Er ernannte insgesamt drei oberste Richter am Supreme Court, zuletzt am Montag, den 26.10. Eine Mehrheit konservativer Richter (9:3) stärkt ihm den Rücken.
Unter Trump gab es keine Einmischung der USA in größere, gewaltsame Konflikte und auch den Truppenabzug aus Deutschland und z.T. aus dem Nahen Osten hat Trump, wie versprochen, in Angriff genommen.
Er schaffte Annährungen zwischen arabischen Ländern und Israel – und leistete damit möglicherweise einen Beitrag zu Frieden im Palästina-Konflikt?!
Unter ihm setzte sich ein Wirtschaftsaufschwung weiter fort, neue Jobs wurden geschaffen und es gab die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 50 Jahren.
Auch im Handelsstreit mit China war er auf der Zielgeraden und stand kurz vor einer Einigung – wäre da nicht das Corona-Virus – das er als „China-Virus“ betitelt – gekommen. Denn dann ging seine bis dahin ordentliche Bilanz unter. Sein Umgang und die Verharmlosung des Virus oder auch die Empfehlung, sich Desinfektionsmittel zu spritzen, schreckten viele Wähler ab, v.a. die Senioren, welche bei der letzten Wahl mehrheitlich für Trump stimmten, jedoch nun selbst Angst vor einer Corona-Infektion haben. Das machte sich Biden – selbst ebenfalls ein Senior, mit dem sich viele andere höchstwahrscheinlich identifizieren können – zum Nutzen, indem er, auch wegen seines hohen Alters, zu Hause blieb, überwiegend Interviews gab, Reden vor fast leeren Turnhallen oder Parkplätzen hielt, bei dem der nötige Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten worden ist oder sich auch demonstrativ mit Maske zeigte oder auch für amerikanische Maßstäbe schon „radikale“ Maßnahmen forderte, wie etwa einen landesweiten Lockdown, eine Maskenpflicht oder kostenlose Impfungen für alle.
Der zweite Aspekt ist Trumps Umgang mit Rassismus – vor allem nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd und der Black-Lives-Matter-Bewegung, welche für viele seine offensichtliche rassistische Sichtweise nochmals zum Ausdruck brachte. Er wurde zum Inbegriff eines Rassisten, der eher in die erste Hälfte des 20. Jahrhundert zu gehören scheint, statt ins „moderne“ 21. Jahrhundert. Dafür spricht er viele Konservative und auch viele rechte Milizen mit seiner „Law and Order“-Politik geradezu aus dem Herzen und treibt sie regelrecht an die Wahlurnen. Sogar zu Waffen greifen sie, was sich an den Verkaufszahlen von Schusswaffen zeigt oder auch an den Attentatsplänen auf die demokratische Gouverneurin von Michigan – Gretchen Whitmer. Das treibt die Spaltung des Landes weiter voran, wenn nicht sogar eine baldige gewaltsame Auseinandersetzung zwischen beiden Lagern. Die einen wollen Trump weiter als Präsidenten haben, sehen ihn gar als „von Gott gewollt“, die anderen wollen ihn schnellstmöglich aus dem Amt drängen.
Beginnt also am Morgen des 4. Novembers 2020 der erste Tag des zweiten Amerikanischen Bürgerkrieges?! Da stellt sich nun die Frage, welches der beiden Lager sich eher durchsetzen kann und da ist Biden ganz klar im Vorteil. Sein ruhiger, diplomatischer, wenn auch etwas langweiliger und alter Stil und seine Positionen im Wahlkampf, die sich ganz klar von Trump abgrenzen, sind seine wesentliche Botschaft: Er war nicht Donald Trump, ist nicht Donald Trump und wird auch nie Donald Trump sein. So unterstützt er die „Black-Lives-Matter“-Bewegung und forderte ein Ende der „Rassendiskriminierung“ und eine gänzlich andere Corona-Politik als der Amtsinhaber.
Doch trotz bzw. gerade eben wegen seines Vorsprungs in den Umfragen – ein Umstand, der dem von 2016 schon gleicht – stellt sich auch hier wieder die Frage, ob sich das Wahltrauma von 2016 wiederholen könnte. Dabei gibt es im Vergleich von 2016 und 2020, von Clinton und Biden, ganz klare Unterschiede: Biden ist beliebter als Clinton, alleine schon, weil er ein guter Freund von dem immer noch beliebten Obama ist – ob diese Freundschaft jetzt strategisch oder wirklich emotional ist, sei mal dahin gestellt. Fakt ist: Clinton gilt eher als korrupt, allein schon wegen ihrer E-Mail-Affäre und den Beziehungsaffären ihres Mannes – während Biden, insbesondere bei Afroamerikanern und Latinos, geschätzt wird und den Spitznamen „Uncle Joe“ bekam. Auch die Situation ist anders: 2016 war Obama noch im Amt, seine Bilanz sah damals im Gegensatz zu seinen Versprechen nicht gerade glänzend aus, während Trump Hoffnung und Energie versprühte, wie kein anderer und was anderes darstellte, als die Jahre des Establishments: Er war kein Politiker, sondern Außenseiter!
Nach vier Jahren dreht sich der Spieß nun um: Nun ist Trump eine Art Politiker und hatte vier Jahre Zeit gehabt, seine Agenda voranzubringen. Im Jahre 2020 vergessen die Wähler, seine gute Wirtschafts- und Arbeitsbilanz und seine eingehaltenen Versprechen, stattdessen ist die Spaltung der USA noch stärker als zu Obamas Zeiten, die Wirtschaft ist im Keller und der Hurrikan „Corona“ wütet gerade über das gesamte Land. Eine schlechte aktuelle Wirtschaftslage und die innere Zerrissenheit spielen tendenziell dem Herausforderer in die Karten, was sich auch in der hohren Wahlbeteiligung ausdrückt, welche meistens gegen den Amtsinhaber und für den Herausforderer spricht.
Also: Nach der Wahl scheint der Gewinner und der nächste Präsident Joe Biden zu heißen.
Dennoch sollten wir uns nicht zu viel von ihm erhoffen. Zwar wird er einen anderen Ton anschlagen und – der außenpolitisch erfahrene – Biden wird auch viel geschickter mit den Alliierten umgehen, als es Trump getan hat.
Aber die Spaltung ist äußerst groß; so wird Trump wohl, als sein größtes Erbe, ein zerrissenes Land kurz vor dem Bürgerkrieg hinterlassen.
Als Obama die Wahl 2008 gewann und 2009 zum Präsidenten vereidigt worden war, glaubten viele fest daran, dass er die auch damals gespaltene USA einen kann. Obama hat in diesem Punkt versagt, nicht weil er es nicht wollte, sondern weil die USA, die Konservativen und Republikanische Partei diesen Wandel nicht wollten, u.a. weil es deren politisches Ende bedeutet hätte.
Würde nun nach vier Jahren einer noch tieferen Spaltung Biden – als ehemaliger US-Vizepräsident unter Obama – zum 46. Präsidenten der „Gespaltenen Staaten von Amerika“ gewählt werden, so würde seine Hauptaufgabe darin bestehen, die „Gespaltenen Staaten von Amerika“ wieder in die „Vereinigten Staaten von Amerika“ umzuwandeln.
Ob er das angesichts der Tiefe der jetzigen Spaltung schaffen kann?
Ist die USA dieses Mal für einen Wandel an politischer Vielfalt bereit?
Wir werden es am 4. November, in knapp zwei Tagen also, sehen …